Zarte Seelen
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- Kategorie: Gastbeitrag
- Veröffentlicht: Freitag, 12. Januar 2024 19:25
Die zarten Seelen
Beleidigte Schafe sind wir schon gewöhnt: Sie werden ärgerlich, wenn wir ihre Schäfer nicht als über jeden Zweifel erhaben sehen, denn ihre ganze Welt kreist schliesslich um die Schäfer und was immer die beschliessen. Der Umgang mit beleidigten Schafen ist unser täglich Brot. Spass macht er keinen - aber was soll’s…
Aber es gibt auch noch die zarten Seelen.
Die wissen „eigentlich“ ziemlich genau, wie der Hase läuft - aber sie sind zu sensibel dafür, sich damit zu befassen. Um sie herum befindet sich eine Sphäre aus regenbogenfarbener willentlich aufrechterhaltener Positivität, schillernd und unwirklich, fragil wie eine Seifenblase. Jeder kennt einige zarte Seelen. Du erzählst was Aktuelles, und die zarte Seele, den Tränen nahe, verlässt ganz leise den Raum. Ab jetzt ist sie scheu; sie wird Deine Gegenwart nur noch mit grosser Mühe ertragen können, und obgleich sie das tarnt, so gut sie kann, merkst Du’s ihr an.
Ist es denn wirklich so gefährlich, der Realität ins abstossende Auge zu blicken? Du schaffst es doch auch, ohne gleich in tausend Scherben zu zerspringen. Was geschähe denn schlimmstenfalls? Oder kannst Du Dir das einfach nicht vorstellen, weil Du eben nicht aus Glas, sondern aus weniger zerbrechlichem Material bestehst? Einem Material, nebenbei bemerkt, das sich in dem Masse selbst verstärkt wie Du’s belastest?
Da liegt vielleicht das Problem.
Du siehst Resilienz nicht nur als gegeben an, Du bist auch stolz drauf, sie immer wieder auszureizen und sie dann beim Stärkerwerden zu beobachten. Es geht Dir wie diesen Kraftmeiern im Gym: Du fuhrwerkst mit den Hanteln herum als wäre es nichts, und Du hast nur Verwunderung und ein bisschen Mitleid für jene übrig, die alledem aus dem Wege gehen und nur wenn gar nichts anderes übrig bleibt mit spitzen Fingern ein Kraftgerät berühren, um es mit dem Ausdruck von Abscheu gleich wieder los zu lassen.
Wie gehen wir nun in der Praxis mit den zarten Seelen um? Wir können sie doch nicht einfach zurücklassen-! Aber sie kurzerhand untern Arm zu klemmen und aus der Gefahrenzone zu schleppen ist auch keine Lösung, denn dabei platzt die Seifenblase, und unser Schützling fühlt sich doppelt schutzlos.
Habt Ihr eine Idee? Bitte ratet einem alten Mammut. Es ist mit seinem prähistorischen Latein am Ende.
Geschrieben vom Mam-Mut aus der Schweiz